„Modern Work ist keine Homeoffice-Regelung“ –
Was sich deutsche Unternehmen vom Ausland abschauen sollten
Remote Work ist kein Privileg. Homeoffice ist kein Endziel. Und ein Kickertisch und Obstkorb steigern nicht die Mitarbeiter:innenzufriedenheit. Wenn in deutschen Führungsetagen über „Modern Work“ gesprochen wird, dann nicht selten voller Buzzwords, aber ohne echten Wandel. Die mögliche Konsequenz: Fehlende Motivation, Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität und hohe Fluktuation.
Anna Schnell ist Gründerin der Transformationsberatung mowomind und zählt zu den prägenden Stimmen für moderne Arbeitswelten in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Mann begab sie sich 2018 und 2022 auf eine berufliche Weltreise – die Modern Work Tour: Die beiden reist in diesen 5 Jahren in insgesamt durch 55 Länder, um weltweit zu erleben, wie Menschen arbeiten – und was es bedeutet, Arbeit neu zu denken.
Digital People hat mit ihr darüber gesprochen, was Modern Work wirklich bedeutet – und warum wir dafür dringend über den Tellerrand schauen sollten.

Warum Deutschland bei Modern Work (noch) hinterherhängt
„Wir verwechseln in Deutschland gerne Mittel mit Zielen,“ so Anna. Sie erlebt in ihren Beratungen regelmäßig, dass flexible Arbeitszeiten oder mobiles Arbeiten zwar eingeführt werden – aber ohne das nötige Mindset, ohne Vertrauensvorschuss und ohne Veränderung der Führungskultur. “Wir brauchen Mut zum Imperfektionismus”, so Anna. “Die ‘German Angst‘ vor Veränderung sollten wir ein wenig kleiner schrauben. An Fehlern wächst man.”
Drei hartnäckige Irrtümer über Modern Work:
- „Homeoffice = Modern Work“
Tatsächlich ist ortsunabhängiges Arbeiten nur ein Aspekt. Wer dabei Kontrolle durch digitale Überwachung ersetzt, lebt keinen Fortschritt. - „New Work ist nur was für Startups“
In Wahrheit profitieren gerade mittelständische Unternehmen von mehr Flexibilität, Selbstorganisation und klarer Sinnstiftung. - „Wir machen schon genug – wir haben doch Obstkorb & Gleitzeit“
Das ist das Äquivalent zum Greenwashing in der Arbeitswelt – Modern Work als Imagekampagne statt echter Transformation.
Was Modern Work laut Anna wirklich bedeutet – und was nicht
„Modern Work ist für mich das, was Menschen wirklich stärkt“, erklärt Anna. “Es geht um Arbeit, die zu den individuellen Lebenskonzepten passt, die echten Sinn in der Tätigkeit zulässt.”
Faktoren, die unter anderem für Modern Work stehen:
- Arbeit, die sinnstiftend ist.
- Arbeit, die autonom und selbstbestimmt ist.
- Arbeit, die Menschen in ihrer Ganzheit sieht – nicht nur als Funktion.
Was Modern Work nicht ist:
- Ein reines Ausgestaltungsthema: Arbeitsplatz, Arbeitszeit, flexible Konzepte.
- Eine Employer-Branding-Maßnahme, um für Mitarbeitende zu werben.
- Ein teures „Nice-to-have“ für jüngere Generationen.
Das Avocado-Modell: Modern Work beginnt im Kern
Anna vergleicht moderne Arbeitskonzepte mit einer Avocado:
- Schale: Besteht aus dem, was man sieht: Benefits & Tools – Homeoffice, Sabbaticals, Softwarelösungen.
- Fruchtfleisch: Was kann ich tun, um diesen Sinn und diese Leidenschaft zu erfüllen? Gestaltet durch Prozesse & Strukturen – wie Entscheidungen getroffen, Teams geführt, Meetings gestaltet werden.
- Kern: Beinhaltet das Mindset – das, was man über seine Arbeit denkt: Werte & Haltung – die innere Überzeugung, wie wir miteinander arbeiten wollen.
„Viele Unternehmen starten an der Schale, aber der Wandel gelingt nur, wenn der Kern zuerst klar ist“, sagt Anna. Wer Sinn, Vertrauen und Verantwortung nicht ins Zentrum stellt, wird auch mit den besten Tools keine neue Arbeitskultur etablieren.
Globale Impulse: Was wir von anderen Ländern lernen können
Während in Deutschland noch über Vertrauensarbeitszeit diskutiert wird, zeigen Unternehmen weltweit, wie echte Modern Work aussehen kann:
- Tegus, Brasilien: Ein Unternehmen, das in einem Land, das kulturell hierarchisch geprägt ist, radikal selbstorganisierte Strukturen lebt – mit voller Ergebnisverantwortung für jedes Team. Selbst die Produktion organisiert sich selbst, ohne klassische Chefstrukturen – von Zeit- über Schichtpläne. Und das lohnt sich: Die Organisation in Kreisen steigert durch das Autonomieempfinden nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern senkt auch die Fluktuation.
- Abstracta, Uruguay: Ein IT-Unternehmen, das seine starren Büroräume mit klassischen Arbeitsplätzen aufgegeben hat: Kleinere Büroflächen als soziale Gruppenräume ermöglichen das, was für die Mitarbeitenden der Haupttreiber für die Rückkehr ins Büro war: Socializing, Networken und gemeinsames Arbeiten an Projekten.
- Akurey, Panama: Ein Unternehmen, was den sozialen Aspekt als sinnstiftendes Element beispielslos fokussiert: Die Unternehmensräume wurden in ein Café mit Arbeitsplätzen umgestaltet, weil erkannt wurde, dass die Mitarbeitenden den menschlichen Austausch als Grund für die physische Anwesenheit ansahen.
„Diese Unternehmen haben verstanden, dass moderne Arbeit auch bedeutet, den Menschen wieder mit Sinn zu verbinden“, so Anna. Denn nur wenn Arbeit mehr ist als Erwerbstätigkeit, entsteht echte Motivation.
Snackable Tipps für Unternehmen: Erste Schritte in Richtung Modern Work – umsetzbar ab morgen
- Fragt nach dem „Warum“: Welche Haltung steckt wirklich hinter euren Maßnahmen? Warum wollt ihr flexibler werden?
- Startet mit einem kleinen Pilotprojekt: Ein Team, ein Projekt – und lasst es bewusst anders laufen. Mehr Vertrauen, weniger Kontrolle.
- Führt Feedbackformate ein: Regelmäßig, ehrlich, auf Augenhöhe – nicht nur einmal im Jahr im Mitarbeitendengespräch.
- Verabschiedet euch vom Silo-Denken: Modern Work braucht interdisziplinäre Zusammenarbeit. Öffnet Abteilungen, lasst Wissen fließen.
- Sprecht über Sinn – nicht nur über Ziele: Warum tut ihr, was ihr tut? Und wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen.
Ein Blick in die Zukunft: So arbeiten wir in zehn Jahren
„Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, in der Arbeit nicht mehr allein an Produktivität, Geschwindigkeit oder Wachstum gemessen wird. Sondern an ihrem Beitrag zu einem sinnvollen Leben, einer lebenswerten Gesellschaft und einem gesunden Planeten.
Eine Welt, in der Menschen sich entfalten dürfen – mit wechselnden Rollen, in selbstbestimmten Lebensphasen und mit echtem Gestaltungsraum. In der KI nicht ersetzt, sondern befähigt.
In der Technologie dem Menschen dient und Nachhaltigkeit kein Nebenschauplatz, sondern Grundlage allen Handelns ist. Eine Arbeitswelt, die Sinn stiftet – für den Einzelnen wie für das große Ganze.”
In 10 Jahren arbeiten wir…
- in fluiden Rollen statt starren Jobtiteln,
- in selbstorganisierten Teams statt in Silos,
- hybrid, global und dennoch verbunden – durch gemeinsame Werte und Sinn.
Fazit: Zeit für echte Veränderung – von innen nach außen
Modern Work beginnt nicht mit einer App oder einer Policy. Es beginnt mit der Haltung, wie wir Menschen sehen – und was wir ihnen im Arbeitskontext zutrauen. Wer wirklich Neues will, muss die Komfortzone verlassen. Denn Sinnzuschreibung, Selbstbestimmung und Vertrauen sind keine Benefits. Sie sind das Fundament der Arbeit von morgen.
Danke Anna, für das inspirierende Gespräch.
Wer mehr über Anna und ihre Arbeit erfahren möchte: www.mowomind.com
Oder vernetzt euch auf LinkedIn mit ihr.